Beteiligung und Kiss für NAH.SH

Vom langen Weg zu barrierefreien Zügen

Ich möchte auf eine Pressemeldung „Schleswig-Holstein: Stadler stellt neue KISS-Doppelstockzüge in Lübeck vor“ hinweisen, die u.a. auf www.lok-report.de (Pressemeldung Stadler, Deutsche Bahn, Land Schleswig-Holstein vom 10.11.2022) nachzulesen ist.

Bei der DB ist das unter „Land und DB stellen neue KISS-Züge vor“ unter www.deutschebahn.com (vom 10.11.2022) zu finden.

Dort erfährt der Leser „Derzeit werden die ersten vier neuen Fahrzeuge erprobt, bevor sie fahrplanmäßig zum Einsatz kommen. Voraussichtlich ab Ende Januar 23 können sie zwischen Hamburg und Lübeck-Travemünde verkehren“ und „Ursprünglich war ein früherer Termin vorgesehen. Aufgrund nachträglicher Fahrzeugänderungen während der Fertigungsphase, mit denen Hersteller Stadler, DB Regio und die NAH.SH gemeinsam die Barrierefreiheit der KISS-Doppelstockzüge optimieren konnten, hat sich der Probebetrieb der neuen Fahrzeuge in Schleswig-Holstein verspätet“.

Aus eigener Erkenntnis kam es aber nicht zu den Fahrzeugänderungen während der Fertigungsphase. Sonst wäre schon der genannte Zeitpunkt unerklärlich. Informationen zu den für die Änderungen ursächlichen Protesten seitens der Organisationen der Menschen mit Behinderungen kann man mit dem Suchbegriff „Verrampte Züge“ leicht im Internet finden.

Weitere Zitate aus der Pressemeldung: „Mit den neuen Zügen wird auch die Barrierefreiheit und der Komfort deutlich gesteigert. Das fängt bei stufenlosem Einstieg an und endet bei einem leistungsstarken WLAN“ und „Im unteren Bereich überzeugen die Doppelstockzüge mit geräumigen und einfach erreichbaren Mehrzweckbereichen für den Transport von Rollstühlen, Kinderwagen oder bis zu 36 Fahrrädern sowie rollstuhlgerechten Toiletten“.

Übrigens: Die Formulierung „Transport von Rollstühlen“ (in solchen Pressemeldung im Zusammenhang mit anderen Gegenständen) ist typisch für nicht überzeugende Planungen. Im Dialog mit Betroffenen würde vielleicht die Einsicht kommen, worin der Unterschied zwischen Abstellflächen für Fahrräder und Rollstuhlplätzen besteht.

Störe meine Kreise nicht“ fällt den Vertretern der Menschen mit Behinderungen als Haltung der anderen Seite im Zusammenhang mit politischer Partizipation in der Praxis immer wieder auf. Nach der Vorstellung der Planung in einer weit fortgeschrittenen Phase - bei wirklich frühzeitiger Beteiligung wären die Fahrzeugänderungen nicht erst während der Fertigungsphase gemacht worden - gab es nur ein lausig gemachtes Mock-Up (Anschauungsmodell) und dann ein Abtauchen. Bei der Vorstellung der Planungen am „Runden Tisch für mobilitätseingeschränkte Reisende“ am 21.10.2019 in Kiel wurde verkündet: „Die Planung ist bei Stadler nahezu abgeschlossen“ und „Änderungen sind nicht mehr möglich – führen zu verspäteter Betriebsaufnahme und erhöhten Kosten“. Frühzeitige Beteiligung? Wieso es bei der Beteiligung so darauf ankommt, daß sie wirklich - und nicht nur der Redensart nach - frühzeitig statt findet? Änderungen werden um so teurer, je später sie vorgenommen werden und sorgen zusätzlich noch für Verzögerungen.

Lausig? In einer den Behinderten vorgelegten Skizze mit Zahlenangaben zu Abmessungen (ich vermeide absichtlich das Wort Maßskizze) gab es in sich nicht schlüssige Angaben, von einer Verwechselung der Einheiten mm und cm mal abgesehen. Wenn im Mock-Up Holzplatten wegen besserer Befahrbarkeit aneinander gefügt werden und die Oberflächen ohnehin nicht dem Material im Zug entsprechen, kann man weder den Übergang zwischen Bahnsteigkante und Einstiegskante zutreffend einschätzen noch die Benutzbarkeit der Rampen im Fußboden der Fahrzeuge beurteilen.

Kein schöner Zug

Wären die Veranstalter der Vorstellung des neuen Triebzugs an Beteiligung wirklich interessiert, so hätten sie die ach so übliche Reihenfolge nicht weiterhin eingehalten: erst für Politik und Presse das eigene Werk loben und vielleicht später den zuvor beteiligten Vertretern aus den Organisationen der Menschen mit Behinderungen etwas zeigen. Ich habe herum telefoniert, es blieb beim „Business as usual“ und „Stört unsere Kreise nicht“. Taktisch gut gemacht und selbstverständlich nicht im Sinne der Barrierefreiheit und den Menschen mit Behinderungen im „echten Norden“ (so der Slogan an den Zügen dort).


(bk, 2022-11-20)

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